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Vertriebssysteme

Wahl und Ausgestaltung des Vertriebssystems

Unter der neuen Vertikal-GVO 2022 ist der Anbieter weiterhin in der Wahl seines Vertriebssystems frei. Neben den bekannten Selektivvertrieb und Exklusivvertrieb lässt die neue Vertikal-GVO 2022 nun auch den freien Vertrieb mit Vertriebsbeschränkungen zu.

  • Der duale Vertrieb an Endkunden durch den Anbieter und seine Händler wird nur noch eingeschränkt zulässig sein. Eine gemeinsame Marktanteilsschwelle von 10% darf nicht überschritten werden.
  • Exklusivgebiete dürfen bis zu fünf Händlern zugleich zugewiesen sein und nicht wie bisher nur einem Händler.
  • Graumarktimporte in selektiven Vertriebssystemen und Exklusivvertriebssystemen können leichter verhindert werden. Ein Anbieter kann insbesondere aktive Verkäufe in Selektiv- oder Exklusivgebiete verhindern.

Exklusiver Vertrieb

Lockerungen beim exklusiven Vertrieb

Dem exklusiven Vertrieb wird weiterhin ein bestimmtes Gebiet oder eine bestimmte Kundengruppe zugewiesen. Neu nach der Vertikal-GVO 2022 ist allerdings, dass ein Gebiet nun nicht mehr nur einem Händler, sondern bis zu fünf Händlern zugewiesen werden darf.

Es ist fraglich, ob diese Anzahl von fünf Händlern stets gilt oder ob der Hersteller nur maximal fünf Händlern einsetzen darf und ansonsten den Nachweis führen muss, dass die von ihm gewählte Anzahl von Abnehmern bzw. Vertriebsmittlern auch objektiv erforderlich ist. Möglicherweise ist zu erforderlich, dass die Anzahl so bestimmt ist, dass die eingesetzten HÄndler ihre Investitionen helfen, ein bestimmtes Geschäftsvolumen zu sichern. Nicht erlaubt wäre daher etwa, das Gebiet möglichst groß zu bestimmen und viele Händler in diesem Gebiet einzusetzen und sie so gegen Importe von außen abzuschotten. Dies würde zu Teilmärkten in der EU führen, was dem Prinzip des einheitlichen Marktes widerspricht.

Der Schutz der exklusiv zugeteilten Gebiete wird insbesondere durch eine Beschränkung von aktiven Verkäufen in ein solches Exklusivgebiet gesichert. „Aktiver Verkauf“ meint nach der neuen Gruppenfreistellungsverordnung jede Art des offline oder online Verkaufs, außer passivem Verkauf, insbesondere das gezielte Ansprechen des Kundens durch Besuche, Schreiben, E-Mails, Anrufe, sonstige Formen der direkten Kommunikation sowie durch gezielte Werbung und Absatzförderung. Neu ist hierbei auch, dass Sprachwahloptionen auf einer Website (außer Englisch) sowie eine Website mit einer Domain eines anderen Gebietes, in dem der Händler nicht niedergelassen ist, nun als aktiver Verkauf gelten. Insoweit sind also Beschränkungen zulässig.

Selektiver Vertrieb

Gestaltungsfreiheit beim selektiven Vertrieb

Der selektive Vertrieb bleibt auch unter der neuen Vertikal-GVO 2022 und ihren Leitlinien uneingeschränkt zulässig. Herstellern und Anbietern steht daher nach wie vor die attraktive Möglichkeit offen, ihren Waren- und Dienstleistungsvertrieb mit engagierten Fachhändlern auszugestalten. Wie bisher sind etwa Standort-Klauseln zulässig, wonach der Hersteller oder Importeur, der das selektive Vertriebssystem betreibt, den Niederlassungsort beschränkt.

Gleichzeitig bieten sich neue Gestaltungsmöglichkeiten:

Investitionen der Fachhändler können gegen Trittbrettfahrer geschützt werden, indem der Weiterverkauf an nicht zugelassene Händler untersagt bleibt. Zugleich kann es Exklusivhändlern und sonstigen Händlern, die außerhalb des Gebiets des selektiven Vertriebs ansässig sind, verboten werden, aktiv oder passiv an nicht zugelassene Händler innerhalb des Gebiets, in dem das selektive Vertriebssystem betrieben wird, zu verkaufen.

Des Weiteren sind Lockerungen bei den Qualitätsvorgaben für den offline- und online-Handel unter den neuen Vertikal-GVO 2022 in Kraft getreten. Der Hersteller oder Anbieter, der ein selektives Vertriebssystem betreibt, kann unter der neuen Vertikal-GVO 2022 und ihren Leitlinien nun für den online-Handel und den stationären Handel unterschiedliche Qualitätsvorgaben, etwa die Warenpräsentation oder die Kundenberatung machen. Der Hersteller muss jedoch beachten, dass die Qualitätsvorgaben für den Internet-Handel nicht so hoch sind, dass dem Händler der eCommerce der Vertragsprodukte faktisch unmöglich gemacht wird.

Zudem ist nun der dualer Vertrieb ausdrücklich zugelassen. Der Hersteller, der bisher ein selektives Vertriebssystem betrieb, kann nun parallel selbst an Endkunden verkaufen. Hierzu wird er zunächst die notwendigen logistischen Voraussetzungen für Versand und Abwicklung von Retouren schaffen müssen und sich auch auf Protest seiner autorisierten Händler einstellen müssen. Auf Dauer ist ihm der eigenen Vertrieb an Endkunden jedoch erlaubt, auch wenn sich der Informationsaustausch dann auf für die Durchführung des Händlervertrags Notwendige beschränkt.

Graumarktimporte

Verhinderung von Graumarktimporten in Vertriebssystemen

Durch die Lockerungen beim exklusiven Vertrieb und weitere zugelassene Beschränkungen kann unter der neuen Vertikal-GVO 2022 das Problem von Graumarktimporten reduziert werden. Häufig deckt das Gebiet, in denen das exklusive oder selektive Vertriebssystem betrieben wird, nicht die gesamt EU ab. Folglich können nicht zugelassene Händler außerhalb des Vertriebsgebiets eindecken und so die Bemühungen und Investitionen der zugelassenen Händler unterlaufen. Ein Anbieter kann unter der neuen Vertikal-GVO 720/2022 verlangen, dass seine Händler das Verbot des aktiven Verkaufs in andere Selektiv- bzw. Exklusivvertriebsgebiete oder Gebiete, in denen der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt, an deren Kunden durchreichen und diese entsprechend verpflichten. Bisher durften die Kunden der Exklusivhändler nicht in ihrem Vertrieb beschränkt werden.

Zudem stellt die neue Vertikale Vereinbarung nun klar, dass ein Hersteller in einem Teilgebiet der EU ein selektives Vertriebssystem und in einem anderen Teilgebiet ein exklusives Vertriebssystem betreiben kann. Die Verknüpfung der Elemente des selektiven und des exklusiven Vertriebs in ein und demselben Gebiet bleibt jedoch unzulässig. Zum Schutz vor Graumarkt-Importen kann der Hersteller nun aber verbieten, Exklusivhändler sowie dessen Kunden aktiv oder passiv an nicht zugelassene Händler in einem anderen Gebiet mit selektivem Vertrieb zu verkaufen. Händler, die nicht im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems autorisiert sind, haben so keine Möglichkeit mehr, sich bei Bezugsquellen außerhalb des selektiven Vertriebsgebiets einzudecken.

Dualer Vertrieb

Dualer Vertrieb durch Anbieter und Händler

Im selektiven Vertrieb oder im Exklusivvertrieb übernimmt das Endkundengeschäft der Händler. Viele Hersteller, Importeure und Anbieter wollen jedoch selbst an Endkunden verkaufen, insbesondere durch einen eigenen Webshop und flag ship stores. Man spricht insoweit vom dualen oder zweigleisigen Vertrieb durch den Anbieter und Händler. Überschneiden sich die Produktsortimente, was bei identischen Vertragswaren regelmäßig der Fall sein wird, und auch die Regionen, in denen der Anbieter und der Händler ihre Produkte absetzen, sind sie auf dem gleichen sachlichen und geografischen Markt tätig. Der Anbieter wird dadurch zum Wettbewerber des jeweiligen Händlers.

An sich sind Vertriebsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern bislang nicht von der neuen Vertikalen Vereinbarung erfasst worden. Eine Ausnahme besteht jedoch für den dualen Vertrieb. Dieser war nach der bisherigen Vertikalen Vereinbarung ebenfalls vom Kartellverbot freigestellt, während die neue Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung 720/2022 den dualen Vertrieb wesentlich kritischer sieht und daher die Voraussetzungen für die kartellrechtliche Zulässigkeit verschärft. Nach der neuen Vertikal-GVO 720/2022 sind Vereinbarungen zwischen Anbieter und Händler kartellrechtlich zulässig, wenn

 

  • der Marktanteil von Anbieter und Händler auf ihrem Verkaufs- bzw. Einkaufsmarkt jeweils unter 30% liegt,
  • kein Wettbewerb zwischen Anbieter und Händler hinsichtlich Herstellung, Großhandel oder Einfuhr besteht,
  • keine bezweckte vertikale Kernbeschränkung, etwa Preisvorgaben oder unzulässige Gebiets- und Kundenbeschränkungen enthält, und
  • die Vereinbarung keine bezweckte horizontale Wettbewerbsbeschränkung wie Kartellabsprachen über Preise oder Quoten oder Kundenaufteilung enthält.

Diese Beschränkungen beim dualen Vertrieb gelten auch dann, wenn zwischen Anbieter und Händler potentieller Wettbewerb besteht. Dies ist der Fall, wenn insbesondere der Anbieter in kurzer Zeit innerhalb eines Jahres die notwendigen Investitionen und notwendige Umstellungskosten auf sich nehmen würde, um die Produkte zu vertreiben oder Dienstleistungen anzubieten.

Informationsaustausch

Dualer Vertrieb und Informationsaustausch

Bei einem Marktanteil von Anbieter und Abnehmer von jeweils nicht mehr als 30% ist der dualer Vertrieb unter den übrigen Voraussetzungen der neuen Vertikal-GVO 720/2022 kartellrechtlich zulässig. Anbieter haben somit unter der neuen Vertikal-GVO 2022 die Möglichkeit, selbst aktiv ihre Produkte und Dienstleistungen an Endkunden zu vertreiben. Sie treten damit zwar in Wettbewerb zu ihren Händlern, können aber selbst in vertragliche Beziehungen mit den Endkunden treten. Im Falle von relativer Marktbeherrschung bzw. sortimentsbedingter Abhängigkeit können jedoch Übergangsfristen gelten.

Kritisch ist jedoch der Informationsaustausch zwischen Anbieter und Händler. Die Leitlinien zur Vertikal-GVO 720/2022 verweisen für den Informationsaustausch im Horizontalverhältnis auf die Vorschriften über die horizontale Zusammenarbeit. Diese verbieten jeglichen Informationsaustausch über wettbewerbs- bzw. preissensible Informationen. Hiermit sind insbesondere Informationen über die Preispolitik, Absatzmengen, Produktionsmengen, Gewinnmargen oder geplante Investitionen gemeint. Nach der neuen Vertikal-GVO 2022 ist der Informationsaustausch unzulässig, der entweder nicht unmittelbar die Umsetzung der Vertriebsvereinbarung zwischen Anbieter und Händler betrifft oder nicht zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Produkte oder Dienstleitungen erforderlich ist.

Der Anbieter bzw. Hersteller ist daher nach wie vor berechtigt, seine Vertriebspartner zu kontrollieren, insbesondere ob sie die qualitativen Vertriebsvorgaben an die Warenpräsentation im stationären Geschäft und im Webshop einhalten. Vertreibt der Hersteller jedoch selbst an Endkunden, darf er bei der Kontrolle nur noch solche Informationen vom Händler fordern, die die eigenen Produkte betreffen.

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