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Vertikal-GVO 720/2022

Die neuen vertriebsrechtlichen Regelungen

Die Europäische Kommission hat zum 1. Juni die neue Vertikal-GVO 720/2022 erlassen. Sie ist die Neufassung der so genannten Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen vom kartellrechtlichen Verbot (Art. 101 AEUV, § 1 GWB), kurz „Vertikal-GVO“ veröffentlicht. Die neue Vertikal-GVO löst die seit 2010 geltende Fassung der Vertikal-GVO ab. Die Änderungen betreffen vor allem den online-Handel, den dualen Vertrieb von Hersteller und Händler, das dual pricing und Vertriebssysteme.

Vertikal-GVO 720/2020

Die Europäische Kommission berücksichtigt bei der neuen Vertikal-GVO 720/2022 vor allem den Schutz von Investitionen des stationären Handels, die starke Stellung des online-Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen und Änderungen der Rechtsprechung, insbesondere zum Verbot vom Vertrieb über Drittplattformen. Sie reagiert damit auch auf neue Entwicklungen des Vertriebs in der EU. 

Der Online-Handel ist etabliert und muss nicht mehr besonders geschützt werden. Allerdings schätzt die Europäische Kommission den dualen oder zweigleisigen Vertrieb an Endkunden durch den Anbieter und den Händler als kritisch ein, wenn bestimmte Marktanteilsschwellen überschritten werden.

Vertriebssysteme

Erfahren Sie hier alles zu den Neuerungen bei Vertriebssystemen, insbesondere zum Dualen Vertrieb und Schutz gegen Graumarktimporte.

Preisgestaltung

Möglichkeiten und Grenzen der Preisgestaltung, insbesondere beim dual pricing, MAP und Preis-empfehlungen, sind hier dargestellt.

Online- / Offline Handel

Wie Sie online- und offline-Handel unterschiedlich gestalten können, insbesondere in Qualitäts-anforderungen und Vertriebskanälen, lesen Sie hier.
Details zur Vertikal-GVO 2022
  • Der dualer Vertrieb durch Anbieter und Händler an Endkunden ist nun ausdrücklich zulässig. Allerdings gilt dies für den Informationsaustausch zwischen Hersteller und Händler nur, soweit die jeweilige Information für die Durchführung des Vertriebsvertrags erforderlich ist.
  • Die Vertikal-GVO 720/22 behält den Exklusivvertrieb und Selektivvertrieb bei und gestattet auch Beschränkungen beim „freien Vertrieb“. Insbesondere sind Graumarktlieferungen von Händlern eines Vertriebssystems an Händler eines anderen beschränkbar. Ein Anbieter ist somit auch ausdrücklich frei, in einem Teilgebiet der EU ein selektives Vertriebssystem zu betreiben und in einem anderen ein exklusives Vertriebssystems oder Händler frei zu beliefern aber Lieferungen zwischen diesen Systemen zu beschränken.
  • Beim exklusiven Vertrieb dürfen nun bis zu fünf Händler in ein und demselben Gebiet eingesetzt werden.
    Der Hersteller darf unter der neuen Vertikal-GVO 2022 unterschiedliche Vertriebsvorgaben für den online-Handel und den stationären Handel machen. Beide müssen nicht mehr äquivalent sein
    Preisvorgaben bleiben wie bei der Vorgänger-GVO nur in eingeschränktem Maß zulässig.
  • Mindestwerbepreise („minimum advertised price“) bleiben unzulässig.
    Unter der neuen Vertikal-GVO 720/2022 sind auch Doppelpreissysteme (dual pricing“) erlaubt, wenn dies dem Schutz von Investitionen dient.
    Das Verbot zur Nutzung von Drittplattformen und market places ist nun in der Vertikal-GVO 2022 und den Leitlinien fest verankert.

Schutz von Investitionen

Der Schutz von Investitionen des Handels wird bei der Gestaltung des Vertriebs eine besondere Rolle spielen. Die neue Vertikal-GVO 720/2022 und die Leitlinien der Europäischen Kommission erwähnen den Schutz von vertrags- und marktspezifischen Investitionen bei vielen verschiedenen Vertriebsaspekten als zulässige Begründung für Beschränkungen von online- und offline-Handel:

  • Schutz von Exklusivhändlern vor aktiven Verkäufen und online-Werbung durch gebietsfremde Abnehmer und Händler
  • Alleinbezugsverpflichtungen zum Schutz eines bestimmten Geschäftsvolumens und damit der Amortisation von Investitionen
  • Ermöglichung des erstmaligen Marktzutritts für Waren und Dienstleistungen und Gewährung von Gebietsschutz
  • Rechtfertigung von Wettbewerbsverboten, insbesondere in Kombination mit Alleinbelieferung
  • Schutz und Aufbau des Markenimages mit Hilfe des Einzelhandels
  • Mindestwert des jährlichen Einkaufsvolumens im Rahmen des selektiven Vertriebs
  • Unterschiedliche Bezugspreise für Waren, die für den online- bzw. offline-Vertrieb durch den Händler bzw. Abnehmer bestimmt sind (dual pricing)
  • Schutz von Handelsvertretern

Markenhersteller und Anbieter dürften daher unter der neuen Vertikal-GVO 720/2022 viel öfter als unter der Vorgänger-GVO damit erfolgreich argumentieren können, dass eine unterschiedliche Behandlung von online- und offline-Handel, Maßnahmen zum Schutz gegen Graumarkt-Importe und zum Schutz von Investitionen der Einzelhändler und Abnehmer kartellrechtlich zulässig und gerechtfertigt sind.

Abweichungen zu Großbritannien und Schweiz

Großbritannien:

Aufgrund des Brexits verlor die alte Vertikal-GVO 2010 in Großbritannien ihre Gültigkeit zum 1. Juni 2022, wobei eine Übergangsfrist bis 1. Juni 2023 gilt. Die in Großbritannien für Neuverträge geltenden Regelungen für Vertriebsvereinbarungen weichen in einigen wichtigen Punkten von der neuen Vertikal-GVO 2022 ab.

  • Auch in Großbritannien ist der dualer Vertrieb durch Hersteller und Händler zulässig. Während die Vertikal-GVO 2022 jedoch Plattformen hiervon ausnimmt, ist in Großbritannien der dualer Vertrieb durch Plattformen und Händler zulässig.
  • Beschränkungen von online-Verkäufen sind zulässig, solange der effektive Gebrauch des Internets als Vertriebskanal nicht behindert wird.
  • Auch in Großbritannien ist es zulässig, im Rahmen des exklusiven Vertriebs in einem Gebiet mehrere Händler einzusetzen. Im Gegensatz zur neuen Vertikal-GVO 2022, nach der bis zu fünf Händler eingesetzt werden dürfen, verlangt die entsprechende Regelung in Großbritannien, dass die Anzahl der eingesetzten Händler nach Größe des Gebiets bzw. Kundengruppe sowie nach den Chancen zur Amortisierung von Investitionen gerechtfertigt ist.
  • Selektiver Vertrieb und exklusiver Vertrieb dürfen in Großbritannien kombiniert werden, soweit dies auf verschiedenen Vertriebsebenen geschieht.
  • Minimum advertised prices sind in Großbritannien unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, insbesondere um zu verhindern, dass ein bestimmtes Produkt als „loss leader“ eingesetzt wird.
  • Wettbewerbsverbote können in Großbritannien nicht stillschweigend über fünf Jahre hinaus verlängert werden.

Schweiz:

In der Schweiz gilt die neue Vertikal-GVO 2022 nicht. Für den Vertrieb in der Schweiz ist das dortige Vertriebskartellrecht zu beachten. Die Schweiz hat ihrerseits eine Anpassung ihrer Regelungen zum Vertrieb in Form der Vertikalbekanntmachung initiiert. Der entsprechende Entwurf scheint sich an die neue Vertikal-GVO 2022 anzulehnen und zum Beispiel beim exklusiven Vertrieb pro Gebiet bis zu fünf Händler zuzulassen. Diese sollen gegen Aktivverkäufe von Händlern in anderen Gebieten geschützt werden. Vertriebsbeschränkungen sollen nicht nur gegenüber Händlern gelten, sondern auch gegenüber deren Kunden bzw. Abnehmern. Ebenso sollen wie bei der Vertikal-GVO 720/2022 die Regelungen für den dualen Vertrieb gelockert, aber der Informationsaustausch eingeschränkt werden. Ein Totalverbot des online-Vertriebs soll auch in der Schweiz unzulässig sein. Offenbar möchte die Schweiz jedoch keine Lockerungen bei der zeitlichen Dauer von Wettbewerbsverboten von mehr als fünf Jahren. Preisbindungen der zweiten Hand sollen auch in der Schweiz unzulässig bleiben.“

Handelsvertreter

Handelsvertreter bleiben vom Regelungsbereich der neuen Vertikal-GVO 2022 im Grundsatz ausgenommen. Voraussetzung ist, dass der Handelsvertreter im Auftrag des verkaufenden Anbieters Geschäfte vermittelt und nicht wie ein Händler wirtschaftliche Risiken zu tragen hat. Hierbei sind Risiken im Zusammenhang mit der Finanzierung von Lagerbeständen, marktspezifische Investitionen und Risiken in Verbindung mit anderen Tätigkeiten auf demselben Markt von besonderer Bedeutung.

Neu ist die Klarstellung in den Leitlinien der Vertikal-GVO 2022, dass ein Vertragshändler, der bestimmte Produkte oder Dienstleistungen des Herstellers als echter Wiederverkäufer vertreibt, für andere Produkte oder Dienstleistungen als Handelsvertreter eingesetzt werden kann. Dies ist für den Hersteller insbesondere für solche Produkte interessant, für die er ein bestimmtes Preisniveau halten möchte, etwa für Sondereditionen. Entscheidend ist aber, dass die Produkte, die ein Händler als echter Vertragshändler vertreibt, von denen, die er als Handelsvertreter vermittelt, und die damit jeweils verbundenen Risiken und Investitionen klar voneinander abgegrenzt werden können. Der Händler muss auch frei sein in seiner Entscheidung, ob er zusätzlich als Handelsvertreter tätig sein möchte oder nicht, und umgekehrt. In der Praxis sind hier jedoch insbesondere bei der Risiko- und Investitionsabgrenzung besondere Schwierigkeit zu erwarten, so dass in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen ist, welche Investitionen ein hypothetischer neu beginnender Handelsvertreter tätigen müsste. Denn solche Investitionen sind ihm vom Hersteller zu erstatten, während eine solche Erstattungspflicht gegenüber einem Händler gerade nicht besteht.

Übergangsfristen

Die neue Vertikal-GVO 2022 gewährt für am 31. Mai 2022 bestehende Verträge eine Übergangsfrist bis 31. Mai 2023, wenn diese Verträge die Voraussetzungen für eine kartellrechtliche Freistellung nach der Vertikal-GVO 2010 erfüllt haben. Für alle ab dem 1. Juni 2022 neuen Verträge gilt dagegen bereits uneingeschränkt die neue Vertikal-GVO 2022.

Marktanteilsschwellen

Geltendes Kartellrecht (Art. 101 AEUV, § 1 GWB) verbietet an sich jegliche Beschränkungen des Wettbewerbs. Die Wahl eines bestimmten Vertriebssystems, die Auswahl von autorisierten Händlern, die Zuweisung von Gebieten oder Kundengruppen oder sonstige Vorgaben für den Vertrieb wären daher an sich ebenfalls zulässig. Da sich Vorgaben des Anbieters, also des Herstellers oder des Importeurs, an seine Händler jedoch positiv auf die Qualität der Produkte und das Angebot an die Endkunden auswirken können, lässt die neue Vertikal-GVO 720/2022 Ausnahmen zu. Vertriebsvorgaben sind daher unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Voraussetzung ist, dass der Marktanteil des Anbieters gegenüber den Händlern beim Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen nicht über 30% liegt. Ebenso wenig darf der Marktanteil des Händlers nicht über 30% liegen. Hieran ändert der Vorschlag der neuen Vertikal-GVO nichts. Wenn also die Anbieter in ihren Verträgen mit ihren Händlern eine oder mehrere der im Folgenden besprochenen Vertriebsregelungen vereinbaren wollen, müssen sie sich zugleich über ihren Marktanteil und den des Händlers bewusst sein.

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